Ankunft im Rüschhaus
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Adele Schopenhauer. Quelle: Wikipedia
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Frühjahr 1840: Die 42-jährige Adele Schopenhauer macht sich von Jena aus auf den Weg nach Münster in Westfalen.
Es geht ihr nicht gut. Ihre Mutter, die Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, an der sie sehr gehangen hat, ist gestorben. Mit ihrem Bruder Arthur versteht sie sich nicht. Ihre Liebe zu Ottilie von Goethe bleibt seit jeher unerfüllt, ihre Beziehung mit Sibylle Mertens ist - nunja, kompliziert. Dann bekommt sie eine niederschmetternde Diagnose: Krebs.
Der Besuch bei ihrer Freundin Annette ist lange überfällig. Endlich folgt sie, über Zwischenstationen am Rhein, der Einladung ihrer Freundin Annette ins Rüschhaus.
Adele Schopenhauer. Quelle: Wikipedia
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Annette von Droste-Hülshoff auf einem Gemälde von Johann Sprick von 1838. Original auf Burg Hülshoff. Bild: LWL, Quelle: Wikimedia Commons
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Im Frühjahr 1840 kann die 43-jährige Annette von Droste-Hülshoff auf die erste Buchveröffentlichung zurückblicken. Zwei Jahre zuvor ist ein Band mit Gedichten erschienen - halbanonym, mit ihrem Nachnamen in Initialen. Ein Zugeständnis an die gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein Adelsfräulein mag im Kämmerlein dichten, aber mit ihren Werken an die Öffentlichkeit treten? Das schickt sich eigentlich nicht. In der Familie, vor allem bei ihrer Schwester Jenny, findet sie dennoch Unterstützung, und auch die Mutter, Therese von Droste, hat letztlich ihr Einverständnis für das Buch gegeben.
Im Winter hat Annette den religiös motivierten Gedichtzyklus "Das Geistliche Jahr" abgeschlossen und an einer Novelle gearbeitet, von der sie nicht ahnen kann, dass sie einmal Unterrichtsstoff für Generationen von Schulklassen abgeben würde: "Die Judenbuche". Die Kriminalgeschichte geht auf eine wahre Begebenheit zurück, von der man sich im Paderborner Land erzählt - der Gegend, wo Annettes Verwandtschaft mütterlicherseits lebt.
Gesundheitlich geht es ihr im Frühjahr 1840 ganz passabel - das ist schon viel, denn Annette ist von Kindheit an oft krank.
Annette von Droste-Hülshoff auf einem Gemälde von Johann Sprick von 1838. Original auf Burg Hülshoff. Bild: LWL, Quelle: Wikimedia Commons
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Annette bewohnt zwei Zimmer in Zwischengeschoss. Ins "Schneckenhäuschen", wie sie ihr Wohnzimmerchen bezeichnet, zieht sie sich zum Schreiben zurück, wenn nicht Pflichten in Haus, Hof und Verwandtschaft sie davon abhalten oder Krankheit sie daran hindert.
Es gibt eine Zeichnung des Raums, die von Annette selbst stammen soll. Darauf ruht sie, erschöpft wirkend, auf ihrem Kanapee, ein Buch in der Hand. Auf dem Tisch sehen wir eine Handarbeit, einen Korb mit Obst, weitere Bücher - und in der Mitte, ins Zentrum gerückt, stehen Tintenfass und Schreibfeder bereit.
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So einsam Rüschhaus auch liegt: Es herrscht oft lebendiges Treiben in und ums Haus. Es ist nämlich nicht nur Edelsitz, sondern auch Bauernhof. Auf der Hofseite, wo die Zufahrt ist, finden sich Viehställe und Wirtschaftsräume.
Annettes Freund Levin Schücking erinnert sich:
Durch ein Gehölz endlich führte der Weg, dann durch eine kurze Eichenallee, zuletzt an ein hohes hölzernes Gittertor, das den Übergang über einen schmalen Graben abschloss, welcher letztere den kleinen Edelsitz “Rüschhaus” umgab. Das Gebäude hatte etwas Eigentümliches; es hatte wenig gemein mit den anderen adeligen Häusern, wie sie gewöhnlich in unserem Lande aussehen; es war ein Bau, vollständig wie das echte altherkömmliche sächsische Bauernhaus, nur mit dem Unterschiede, dass es größer und ganz massiv von Steinen aufgeführt war, und dass es an der entgegengesetzten Seite, an seinem Ende, zu einer sehr hübschen, wenn auch kleinen, herrschaftlichen Wohnung ausgebaut war.
Aus: „Annette von Droste. Ein Lebensbild“, 1862
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Auf der anderen Seite des Hauses liegen die repräsentativen Räume zum Garten hin. Levin Schücking beschreibt sie so:
Dieser Seite schloss sich ein Garten von mäßigem Umfange an, den einige
alte Steinfiguren schmückten. Eine hohe Treppe führte aus diesem, von
Wasser und Gehölz umgebenen Garten in den Gartensalon mit seinem
Lambrisgetäfel aus braunem Eichenholz, mit seinem Rokokokamin, über dem
das lebensgroße Bildnis eines unserer früheren Landesfürsten hing; an
der Wand rechts schien eine große Doppeltüre ein Büfett oder irgendein
Hausgeheimnis zu verbergen – ein solches steckte in der Tat dahinter,
aber kein Büfett, sondern ein hübscher Altar; an Sonn- und Feiertagen
ließ sich so der Gartensalon in eine Hauskapelle verwandeln.
Aus: „Annette von Droste. Ein Lebensbild“, 1862
Heute ist der Garten wie zu Zeiten des Rüschhaus-Erbauers Johann Conrad Schlaun als barocke
Grünanlage angelegt. Zu Annettes Lebzeiten ist es ein Zier- und
Nutzgarten, der vieles von dem liefert, was im Rüschhaus auf den Tisch
kommt.
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Treppe zum Gartensaal mit den beiden Steinbänken am oberen Ende, die Annette die "Harfe" nennt..
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Der ausklappbare Hausaltar, der sich an Wochentagen hinter Schranktüren verbirgt, fasziniert auch heute noch die Besucherinnen und Besucher, die in den Gartensaal treten. Als eigentliches Wohnzimmer nutzen Therese und ihre Tochter Annette (Jenny hat inzwischen geheiratet und ist ausgezogen) den benachbarten Raum, der, wie große Teile des Hauses, heute im Rahmen einer Führung zugänglich ist.
www.haus-rueschhaus.de
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Annette 1837 in einem Brief an die Mutter, die
bei Annettes Schwester Jenny und ihrem Schwager Joseph von Laßberg in
Meersburg zu Besuch ist.
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Annette in einem Brief an Christoph B. Schlüter vom 2. Januar 1835:
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Annette teilt ihre Ungeduld in einem Brief mit Christoph B. Schlüter:
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Adele Schopenhauer. Quelle: Wikipedia
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Nun also ist Adele endlich da, und die beiden Frauen verleben zweieinhalb harmonische Wochen im Rüschhaus.
Das Verhältnis war nicht immer ungetrübt. Die Freundschaft zwischen den beiden erlebte Höhen und Tiefen. Jahre zuvor hat Annettes zeitweilig enger Kontakt zu Sibylle Mertens eifersüchtige Gefühle in Adele geweckt. Mit der Kölnerin lebt Adele seit 1826 in einer Liebesbeziehung.
Im Mai 1840 scheinen die Differenzen vergessen, Annette und Adele sind Freundinnen geworden. In literarischen Fragen wird Adele zur kompetenten Ansprechpartnerin für
die Dichterin. Sie versucht, ihre guten Kontakte zur Literatur-Szene in Weimar und Jena für Annette zu nutzen, und berät sie bei der Suche nach einem Verleger.
Adele Schopenhauer. Quelle: Wikipedia
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Noch Jahre später schreibt Adele an Sibylle Mertens:
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Zeichnung von Adele Schopenhauer aus dem Jahr 1840. Quelle: Goethezeitportal
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Die Nähe anderer ist für Annette aber auch ungewohnt. In dem Brief an Schlüter schreibt sie:
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Besuch auf Burg Hülshoff
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Rund fünf Kilometer vom Rüschhaus entfernt steht das Wasserschloss, das seit dem 15. Jahrhundert im Familienbesitz der alteingesessenen westfälischen Adelsfamilie ist. Im Januar 1797 kommt Annette hier auf die Welt. Und obwohl sie von Kindheit
an oft krank ist, verlebt sie hier eine glückliche Kindheit und
Jugendzeit zusammen mit ihren Eltern Clemens-August und Therese und ihren drei Geschwistern Jenny, Werner und Ferdinand, genannt Fente.
Auf meiner Heimat Grunde
Da steht ein Zinnenbau
Schaut finster in
die Runde
Aus Wimpern schwer und grau,
An seiner Fenster Gittern
Wimmert des Kauzes Schrei
Und drüber siehst du wittern
Den
sonnentrunknen Weih.
Aus: "Das erste Gedicht", 1845
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Ausflug nach Münster
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Vorher/Nacher Ansicht
Früher einmal hatte die Familie Droste für ihre Aufenthalte in Münster ein eigenes Stadthaus am Krummen Timpen/ Ecke Bäckergasse (links). Im Zweiten Weltkrieg wird das
Gebäude zerstört. Rechts die heutige Ansicht.
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Elise Rüdiger auf einem Gemälde von Johann Sprick, 1840. Quelle: Wikipedia
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Annette und Adele besuchen Elise Rüdiger in ihrem Haus an der Rothenburg 28/29. Heute steht an dieser Stelle das LWL Museum für Kunst und Kultur.
Elise Rüdiger, 15 Jahre
jünger als Annette und ebenfalls schriftstellerisch tätig, unterhält in ihrer
Münsteraner Wohnung einen literarischen
Zirkel, in dem neben den Autorinnen Luise von Bornstedt und Henriette
von Hohenhausen (einer Tante Elise Rüdigers) auch Levin Schücking und
Annette von Droste-Hülshoff verkehren. Bei den sonntäglichen Treffen
spricht man über Literatur und liest sich gegenseitig die eigenen sowie
Werke von Karl Immermann, Ida Hahn-Hahn, George Sand, Honoré de Balzac
und Ferdinand Freiligrath vor. Wenn Annette sich in Münster aufhält,
nimmt sie ab und zu an den Treffen der
"Heckenschriftsteller-Gesellschaft", wie sie die Runde nennt, teil. Sie
persifliert den Club in ihrem Lustspiel "Perdu!"
Mehr über Elise Rüdiger
Elise Rüdiger auf einem Gemälde von Johann Sprick, 1840. Quelle: Wikipedia
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Christoph Bernhard Schlüter. Quelle: Wikipedia
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Die Freundinnen schauen in Münster auch bei Christoph Bernhard Schlüter vorbei, der zunächst am Alten Fischmarkt, später am Steinweg wohnt. Heute erinnert ein Grabstein auf dem Hörster Friedhof an den blinden Professor.
Die Idee, den Münsteraner Dichter und Philosophen Christoph Bernhard
Schlüter (1801 – 1884) als Mentor für ihre Tochter zu gewinnen, hat
Therese von Droste bereits 1829. Schlüter geht zögerlich darauf ein,
führt sich Annettes Werk “Walter” zu Gemüte – und urteilt erst einmal
negativ. Das Epos ist in seinen Augen “süßlich, leer, ja zum Teil
affektiert”, seine Autorin möchte er eigentlich nicht unter die Fittiche nehmen.
Zur ersten persönlichen Begegnung zwischen ihm und Annette von Droste
kommt es vermutlich erst Jahre später, bei einem literarischen
Teekränzchen im Februar 1834 in Münster. Es entwickelt sich ein
regelmäßiger Brief- und Besuchskontakt, die Droste liest dem durch einen
Unfall in seiner Kindheit erblindeten Schlüter aus ihren Werken vor.
Schließlich wird der Professor doch noch zum Förderer der Dichterin.
“Schlüterchen”, wie die Droste ihn oft nennt, betreut die Erstausgabe
der Gedichte von 1838; auf seinen Vorschlag geht auch die Wahl des
Verlegers Hüffer (Aschendorffsche Buchhandlung) in Münster zurück, bei
dem er auch seine eigenen Bücher veröffentlicht.
Mehr über Christoph B. Schlüter
Christoph Bernhard Schlüter. Quelle: Wikipedia
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Levin Schücking 1848. Quelle: Wikipedia
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In der Hörsterstraße 54 wohnt der damals 26-jährige Levin Schücking. Nach seinem Jurastudium ist er 1837 nach Münster gezogen und arbeitet jetzt als Journalist und Autor. Er besucht Annette regelmäßig im Rüschhaus.
Schon als Jugendlicher war Levin erstmals im Rüschhaus aufgetaucht - seine Mutter, der Annette sich verbunden fühlte, hatte ihn geschickt. Nach deren Tod fühlt Annette sich für den 17 Jahre Jüngeren
verantwortlich. Aus der Bekanntschaft entwickelt sich Freundschaft, die vor allem auf der gemeinsamen Leidenschaft für Literatur beruht.
Nun versucht Annette, ihre Kontakte für sein berufliches Fortkommen zu spielen zu lassen, und wird ihm 1841 einen Job als Bibliothekar auf der Meersburg vermitteln. Levin seinerseits betätigt sich als literarischer
Vermittler für die Dichterin.
Die Freundschaft wird jedoch nicht halten. Mit Levins Heirat und einigen
Indiskretionen - er verwendet offenbar vertrauliche Informationen Annettes in seinen Büchern - beginnt Mitte der 1840er Jahre die Entfremdung.
Mehr über Levin Schücking
Levin Schücking 1848. Quelle: Wikipedia
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Mehr über Annette von Droste-Hülshoff
Monika Gemmer
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Ich bin Journalistin, studierte Literaturwissenschaftlerin und - was, zugegeben, nicht alle in meinem Umfeld nachvollziehen können - ein Fan von Annette von Droste, seit ich im Proseminar an der Uni erstmals über sie referiert habe. Für das Droste-Briefblog
"Nach 100 Jahren" habe ich den Grimme Online Award bekommen. Inzwischen habe ich außerdem ein Multimedia-eBook über Annette und eine Droste-App veröffentlicht.
Über Annette und ihre Lieblingsplätze am Bodensee habe ich ebenfalls eine Multimedia-Reportage veröffentlicht:
Droste in Meersburg.www.monika-gemmer.de
Monika Gemmer
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